Greisenpower
Gegenwärtig liegt das Durchschnittsalter der CDU-Gemeinderatsfraktion in Ulm bei 60 Jahren. Die aktivsten Fraktionsmitglieder sind ein Augenarzt a.D. (70), ein Rektor a.D. (78) und ein Ingenieur a.D. und Kreisjägermeister honoris causa (81). Der Versuch, die Fraktion zu verjüngen, schlug fehl: zwei 2009 gewählte Kandidaten, die unter 30 sind, wollen in Ulm keine Kommunalpolitik mehr machen.
Der Youngster in der Rentnermannschaft der Rathausfraktion ist deshalb mit beinahe 50 Jahren Rechtsanwalt Dr. Thomas Kienle. Er leidet unter Überlastung. Politisches Ehrenamt ist schwer mit dem Beruf zu vereinbaren. Da kommt es schon mal vor, dass Herr Dr. Kienle mehrere Sitzungen in einem Ausschuss des Gemeinderates zubringt, dem er gar nicht angehört.
Andererseits ist Kienles Horizont nicht aufs Lokale verengt. Erst jüngst schimpfte er auf das Urteil des Verwaltungsgerichts, das die Aberkennung von Schavans Doktortitel durch die Universität Düsseldorf für rechtens erklärte hatte. Dr. Kienle meinte, dass in NRW politische Justiz praktiziert werde. Wir vom DF rieben uns verwundert die Augen: So radikale Kritik an der deutschen Justiz haben wir seit der Studentenrevolte 1968 nicht mehr vernommen, und dies aus dem berufenen Mund eines Rechtsanwaltes, der Mitglied der CDU ist.
Die Ulmer CDU hat Glaubwürdigkeitsprobleme. Sie vergreist und der Nachwuchs fehlt. Außerdem muss sie Personal für wichtige Ämter importieren. Ja, wo gibt es denn so etwas?
Annette Schavan kam 2005 nach Ulm und ließ sich in den Bundestag wählen. Sie glauben nicht, verehrte Leser, wie sehr Stadt, Umgebung und Menschen Frau Schavan in dieser Zeit ans Herz gewachsen sind! Deshalb kandidierte sie im September letzten Jahres wieder für ihre Ulmer, wurde gewählt – und legt jetzt das Mandat nieder, weil ihr durch Berliner Vettern das Pöstchen des Botschafters beim Vatikan in Rom verschafft wurde. Deutlicher kann man dem Wähler nicht sagen, wie gering man ihn schätzt.
Während die Greisenpower im Ulmer Gemeinderat sich leidenschaftlich Nebensächlichem zuwendet und das Wesentliche übersieht oder zumindest in der Öffentlichkeit nicht darüber spricht, steht der kommende Mann der CDU im Hintergrund bereit. Gunter Czisch, 51 Jahre alt, seit 14 Jahren Finanzbürgermeister, wird in wenigen Jahren, wenn Ivo Gönner altershalber gegen seinen Willen aus dem Rathaus entfernt werden muss, im Chefsessel Platz nehmen. Czisch ziert sich verschämt, wenn er nach seinen politischen Absichten gefragt wird. Aber die Spatzen pfeifen es von allen Dächern: er wird OB-Kandidat. Konkurrenz aus der eigenen oder einer anderen Partei muss er nicht fürchten weit und breit nur blasse Gestalten, soweit das Auge reicht, und betagte Rentner, die zur Freude ihrer Angehörigen einer netten Freizeitbeschäftigung nachgehen, indem sie sich regelmäßig auf ein politisches Schwätzchen mit dem Herrn Oberbürgermeister im Rathaus treffen.